Offener Brief der Dachdeckerinnung Meißen-Riesa-Großenhain

Offener Brief

Auf Initiative der Dachdeckerinnung Meißen-Riesa-Großenhain wurde dieser Brief unter anderem an den Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Michael Kretschmer, verschickt sowie an den Landtagspräsidenten Dr. Matthias Rößler. Des Weiteren ging dieser Brief an die Fraktionsvorsitzenden im Sächsischen Landtag und an die gewählten Vertreter im Bundestag und Sächsischen Landtag aus dem Landkreis Meißen sowie an die Oberbürgermeister, Bürgermeister und den Landrat aus dem Landkreis Meißen.

Sehr geehrter Ministerpräsident Michael Kretschmer, wir, die Dachdeckerinnung Meißen-Riesa-Großenhain, haben erhebliche Befürchtungen für die Zukunft unseres Dachdeckerhandwerkes bzw. für die Zukunft des gesamten Handwerks. Das Handwerk lebt in einer Vielzahl generationsübergreifender selbstständiger kleiner und mittelständiger Unternehmen, welche langsam auszusterben drohen. Allein in unserer Innung stehen viele Betriebsinhaber kurz vor der Rente und der Betrieb wird danach nicht weitergeführt, obwohl es Nachkommen gibt.

Ein Hauptgrund dafür ist die Vielzahl der behördlichen Auflagen und Vorgaben, wodurch kaum noch jemand eine Firma gründen oder eine Firma übernehmen will, was man anhand der aktuellen Zahlen über Firmengründungen und Schließungen eindeutig sehen kann. Auch eine Befragung unter Meisterabsolventen ergab, dass 70 Prozent der jungen Meister wegen der Bürokratie und Unsicherheit eine Selbstständigkeit ablehnen.

Anbei nur einige Beispiele über Auflagen, die uns erst seit den letzten Jahren auferlegt wurden:

  • Pflicht zur Einhaltung der Datenschutzgrundverordnung
  • GoBD-konforme Anpassung der Geschäftsprozesse
  • Ausarbeitung einer Verfahrensdokumentation über diese Geschäftsprozesse
  • Dokumentation der Arbeitszeit (möglichst digital) mit genauen Pausen und tagesaktuell
  • Dokumentationspflicht der Belehrung über Mitführungspflicht von Ausweispapieren (bei Verstoß 5.000 Euro Strafe)
  • Dokumentationspflicht über Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung für jede einzelne Baustelle und über die Nutzung je- der einzelnen Arbeitsmaschine bzw. jedes einzelnen Handgerätes
  • Dokumentationspflicht über die zwei jährlichen Kontrollen der Führerscheine der Mitarbeiter, obwohl diese aufgrund der bestandenen Führerscheinprüfung genau wissen, dass man ohne Führerschein nicht fahren darf. (Wir übernehmen hier Kontrollpflichten des Staates, die er selber nicht leisten kann!)
  • Dokumentationspflicht über Belehrung, dass der Mitarbeiter bei Sonne einen Hut tragen soll, in den Schatten gehen und sich mit Lichtschutzfaktor 30 eincremen muss
  • Dokumentationspflicht über Belehrung, dass Angestellte bei Hitze viel trinken sollen
  • Dokumentationspflicht über Belehrung, dass die Firmenfahrzeuge nicht privat zu nutzen sind
  • Dokumentationspflicht über Entsorgung von Baustoffen, wie Bitumen, Teer, Asbest, Mineralwolle, Styropor mit und ohne HBCD
  • Dokumentationspflicht über Beauftragung bzw. Bestellung eines Datenschutzbeauftragten

Da sprechen wir nicht über Überprüfungen und Dokumentationen von sicherheitsrelevanten Themen, welche unumstritten sein müssen, wie z. B. die Dokumentationspflicht über Beauftragung/Bestellung eines Ersthelfers, Staplerfahrers, Kranfahrers, Hubbühnenfahrers, einer Fachkraft für Arbeitssicherheit, eines Brandschutzbeauftragten und vieles mehr.

Weiterhin sind da noch die monatlichen Meldungen an das Statistische Landesamt, welche sehr zeitaufwendig sind und uns von unserer eigentlichen Arbeit abhalten.

Dabei verliert das Handwerk immer mehr an Mitbestimmungsrecht an maßgebenden und zukunftsrelevanten Entscheidungen. So wurde die Berufsschulnetzplanung gegen den Willen der meisten Innungen reformiert und die Berufsschulen zentralisiert, wodurch es für die Handwerksbetriebe noch schwieriger wird, Lehrlinge für ihr Handwerk zu begeistern, da diese zur Berufsschule und zur überbetrieblichen Ausbildung mittlerweile quer durch den ganzen Freistaat reisen müssen. Die Berufsschule befindet sich in Löbau und die überbetriebliche Ausbildung in Bad Schlema. Weiter wird der Facharbeiter und Meister trotz seiner weltweit einzigartigen Qualifikation gezwungen, für bestimmte Arbeiten zusätzliche Zertifikate zu erlangen, für die eine Privatperson weder eine Ausbildung noch ein Zertifikat benötigt, wie die Verwendung von PU-Klebern und PU-Schäumen.

Das eigentliche Handwerk verliert hinter dem ganzen Beiwerk zunehmend an Bedeutung!

Kaum hat man alles umgesetzt, kündigen sich schon die nächsten Auflagen und Änderungen am Horizont an: Änderung der Führerscheinverordnung durch die EU, Forderungen nach einem ausschließlich digitalen Rechnungs-Management (Zugpferd) sowie die Pflicht zur digitalen Zeiterfassung und vieles mehr.

Gerade der Unternehmer, der alles richtig machen will, stößt hier schnell an seine Grenzen. In Deutschland ist es nicht mehr machbar, die Bürokratie zu bewältigen, ohne Fehler in Kauf zu nehmen. Wichtige Regelungen gehen aufgrund der Vielzahl unwichtiger Reglungen einfach unter. Viele Handwerker haben vor der Fülle an Regeln schon lange kapituliert!

Eine weitere Ursache für die geringe Bereitschaft, sich selbstständig zu machen, liegt auch in den sich ständig verschlechternden Rahmenbedingungen für das Handwerk:

  • Der Lehrermangel besonders im ländlichen Raum sorgt dafür, dass Schüler schlecht ausgebildet die Schule verlassen oder auf das Gymnasium wechseln, da dort der Lehrermangel nicht so groß ist. Im besten Fall gehen diese Schüler danach studieren und stehen dem Handwerk nicht mehr zur Verfügung. In Lommatzsch haben Schüler erst kürzlich auf der Straße für ihr Recht auf Bildung demonstrieren müssen, um wieder Lehrer für Mathe und Physik zu bekommen. Aktuell haben die Schüler so viel Ausfall wie nie zuvor, was mit Sicherheit keine unbedeutende Ursache für das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler in der neuesten Pisa-Studie ist. Und das im Land der Dichter und Denker!
  • Hohe Steuerbelastung und zu lange Abschreibungszeiten sorgen dafür, dass weniger investiert wird. (Gebrauchsgegenstände und Fahrzeuge werden gegen jegliche Vernunft lieber repariert als neu angeschafft, da die Reparaturaufwendungen direkt als Kosten gebucht werden.)
  • Die Besteuerung der Handwerksbetriebe erfolgt auf Grundlage der gestellten Ausgangsrechnungen und nicht auf Grundlage des Geldeinganges, was eine vermeidbare hohe Belastung der Betrieb darstellt.
  • Die kompletten Sozialversicherungsbeiträge (Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung sowie alle Umlagen wie Krankheitsaufwendungen, Mutterschaftsaufwendungen, Insolvenzgeld und der Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung) müssen durch den Arbeitgeber im Voraus gezahlt werden, obwohl er das Geld dafür erst nach geleisteter Arbeit und dann meist noch mit einem Zahlungsziel von bis zu 30 Tagen erhält. Der Unternehmer muss sein Kapital über mehrere Wochen bzw. Monate zinslos zur Verfügung stellen. Das würden wir uns von einer Bank oder dem Finanzamt auch mal wünschen.
  • Gesetze lassen es zu, dass man seine ehrlich geleistete Arbeit nicht bezahlt bekommt, nur weil man vergessen hat, den Kunden über sein Widerrufsrecht zu belehren.
  • Einer der größten Missstände ist, dass die Regierung keinen klaren Kurs hat, der dem Unternehmer Planungssicherheit für Grundsatzentscheidungen gibt, nach dem er sein Unternehmen ausrichten kann. (Siehe Heizungsgesetz, Förderung von Solaranlagen, Förderung von Pelletheizungen, Förderungen von Wärme- pumpen und vieles mehr.)
  • Der Unternehmer wird durch die Regierung immer mehr bevormundet und nicht gefördert. Anstatt dem Unternehmer Achtung und Anerkennung für sein selbstständiges Handeln und die Bereitstellung von Arbeitsplätzen entgegenzubringen, gibt es nur Misstrauen und Bestrafung, sobald Auflagen nicht eingehalten werden.
  • Ein Dachdecker muss bis 65 oder 67 arbeiten, was aus physischer Sicht in den seltensten Fällen möglich ist, und das wird von Leuten festgelegt, die meist noch nie in ihrem Leben körperlich gearbeitet haben! Eine Sonderregelung gibt es nicht!

Selbstständige sind mittlerweile eine Minderheit, die unserer Meinung nach in der Politik nicht vertreten werden, die aber einen großen Teil der Arbeitsplätze im Mittelstand zur Verfügung stellen und eine nicht unerhebliche Wirtschaftsmacht darstellen. Wenn sich nichts ändert, werden Selbständige und Handwerker genau wie Ärzte zu einem Mangel. Neben dem Wegfall dauerhafter Arbeitsplätze wird dadurch viel praktisches Wissen verloren gehen.

Wir, die Dachdeckerinnung Meißen-Riesa Großenhain, und viele weitere Handwerker sind der Meinung: Es ist jetzt Zeit zu handeln, da wir Handwerker in naher oder ferner Zukunft auch direkt oder indirekt von den wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Politik betroffen sein werden.

  • Es wird Zeit, jetzt zu handeln, weil in Deutschland aktuell die Wirtschaft schrumpft, da der Strom zu teuer ist und keine Planungssicherheit für unternehmerische Entscheidungen besteht! Deutschland ist als Wirtschaftsstandort nicht mehr attraktiv. Unternehmen wie Porsche, Miele, Landliebe und Stihl sind dabei, Deutschland zu verlassen.
  • Im gleichen Atemzug wie die E-Mobilität ausgebaut werden soll, werden die Atomkraftwerke abgeschaltet und erst danach wird über eine Lösung nachgedacht. Und dies passiert in einer kritischen Zeit, in der Russland (unser ehemaliger Hauptlieferant für Energie) Krieg mit der Ukraine führt. Als Lösung für unser Energieproblem wird Strom wieder durch Braunkohlekraft- werke erzeugt und „grüner“ Atomstrom teuer aus Frankreich und Tschechien eingekauft! Man kann nur vermuten, dass hier die Entscheidungsträger wohl schon damals keinen Physikunterricht in der Schule hatten.
  • Es wird Zeit, jetzt zu handeln, weil in unserem Land Politiker mit einer unzureichenden Bildung und ohne Erfahrung mehr zu sagen haben als Meister, Ingenieure und Wissenschaftler und politische Entscheidungen ohne Vernunft und Sachverstand getroffen werden (Energiepolitik, Heizgesetz, Abschaltung von Atomstrom, E-Mobilität, Abschaffung der Wohnbauförderung und vieles mehr).
  • Es wird Zeit, jetzt zu handeln, weil unser Geld im Ausland verteilt wird, anstatt hier unsere Wirtschaft zu stärken oder zu entlasten (siehe: Kleine Anfrage Bundestag – Drucksache 20/9176). Erst mit einer starken Wirtschaft können wir uns weitere Ziele leisten und andere Länder weiter unterstützen. Aktuell sind wir das einzige Land in Europa, das ein negatives Bruttoinlandsprodukt hat.
  • Es wird Zeit, jetzt zu handeln, weil die Re- gierung die Nöte und Sorgen eines großen Teils der arbeitenden Bevölkerung, die das Land ernährt, einfach ignoriert. Die Bundesregierung hat den Bezug zum Mit- telstand und zur arbeitenden Bevölkerung verloren.
  • Es wird Zeit, jetzt zu handeln, weil die linken und rechten Randgruppierungen die Gunst der Stunde für sich nutzen und langsam das Land erobern, während die Mitte noch schläft! Wir dürfen der Spaltung des Volkes, wie es aktuell durch die Bundesregierung vollzogen wird, nicht zulassen.
  • Es wird Zeit, jetzt zu handeln, damit sich die Handwerksbetriebe wieder gut durch die Politik vertreten fühlen und wieder Vertrauen in die Politik gewinnen. Gemäß dem Motto des Landesinnungsverbandes: „Damit das – was Sie bewegt – auch dort ankommt, wo es verändert werden kann!“ hoffen wir, dass wir die aktuelle Lage und die Dringlichkeit des Handlungsbedarfes in diesem Brief gut zum Ausdruck gebracht haben.

Und wir hoffen auf Ihren Einsatz für das Handwerk in der Politik, damit wir wieder optimistisch und vertrauensvoll in die Zukunft schauen und dieses Land wieder voranbringen können.

gez. Roberto Heilscher Obermeister

gez. Dipl.-Ing. (FH) René Heinitz Innungsvorstand